Einleitung: Das Leben ist ein Spiel

Warum gibt es so viele verschiedene und sich widersprechende Methoden und Ideen, um Glück, Erfolg und Liebe zu finden? Wenn das Leben ein Spiel wäre, wäre es nicht schön, wenn uns jemand die Spielregeln zu diesem Spiel einfach mal erklären könnte? Wer wünscht sich nicht die eine wahre Weltsicht oder Methode, die den Pfad zur Realisation unseres höchsten Potentials ohne jegliche Umwege und Verwirrung aufzeigt?

Ich selber habe mit diesen Fragen mein ganzes Leben lang gerungen und habe in den letzten 40 Jahren kaum etwas anderes gemacht, als unzählige Systeme für persönliches und spirituelles Wachstum zu erforschen.  Seit 1988 habe ich viele verschiedene Methoden auch in meiner Arbeit als Psychotherapeutin und buddhistische Lehrerin an meinen Klienten angewandt und somit deren Auswirkungen an vielen verschiedenen Menschen gesehen.

Dies hat mich anfangs oft verwirrt, denn ich sah, dass verschiedene Menschen oft sehr verschiedene Formen von Hilfe benötigen. Was zum Beispiel für einen Meditationsschüler gute Erfolge brachte, war für einen Drogensüchtigen nicht nur nutzlos, sondern oft sogar schädlich. Was meinen Therapieklienten wunderbar half, wurde von einigen buddhistischen Lehrern als falsch angesehen. Es schien, als ob verschiedene Menschen verschiedene Regeln für das Spiel des Lebens brauchten. Nachdem ich viele verschiedene Herangehensweisen für psychologisches und spirituelles Wachstum viele Jahre lang erforscht hatte, begann sich langsam in mir ein Bild zu formen, was die wirklichen Spielregeln sind, die notwendig sind, um allen Menschen zu Freiheit und echtem Glück zu verhelfen. Ich erkannte mehr und mehr, dass das Leben wirklich eine Art Spiel ist und dass es tatsächlich klare und leicht verständliche Regeln gibt, die uns allen helfen können, bei diesem Spiel erfolgreich zu sein

Dieses Buch ist das Resultat dieser langen Suche. Wie schon voraussehbar, habe ich nicht nur eine einzige Spielregel gefunden, die alle Probleme aller Menschen löst. Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Stattdessen habe ich realisiert, dass wir uns alle auf einer Reise befinden, die aus neun Stufen des Bewusstseins besteht. Ich nenne diese Stufen ‘die Treppe zum Himmel’ und dieses Modell ist dem Spiel ‘Schlangen und Leitern’ (auch Leiterspiel genannt) recht ähnlich.

Wer dieses Spiel noch nicht kennt, dem will ich es kurz erklären: Das Leiterspiel ist ein Würfelspiel, bei dem man die Spielfiguren entlang einer Reihe von 100 Feldern zieht. Auf manchen Feldern befindet sich eine Leiter, mit der man eine Abkürzung zu einem höheren Feld nehmen kann und auf anderen Feldern befindet sich eine Schlange, und man muss auf ein unteres Feld zurück. In der gleichen Weise müssen wir im ‘Spiel des Lebens’ auf der Treppe zum Himmel hinaufklettern, um unser ganzes Potential zu entfalten und die Erleuchtung zu erreichen. Auf dieser Reise gibt es viele Abkürzungen (Leitern), die ich in diesem Buch im Detail erklären werde, aber auch viele Fallgruben (Schlangen), durch die man in die niedrigeren Bewusstseinsstufen zurückfällt. Diese Fallgruben werden auch im Detail erklärt.

Im traditionellen Leiterspiel wird gewürfelt, um weiterzukommen, aber im richtigen Leben haben wir den freien Willen, um uns von Stufe zu Stufe des Bewusstseins fortzubewegen. Nichtsdestotrotz hängen die meisten von uns auf einer bestimmten Bewusstseinsstufe fest und können den Weg zur nächsten Stufe nicht finden, was immer in viel Leid resultiert. In diesem Buch geht es darum, sich in der schnellsten und harmonischsten Weise zu den höheren Stufen des Bewusstseins fortzubewegen und dabei möglichst viele ‘Leitern’ zu benutzen und den ‘Schlangen’ aus dem Weg zu gehen. Dies wird uns immer leichter gelingen, wenn wir unsere eigene derzeitige Stufe des Bewusstseins verstehen, denn dann werden wir auch erkennen, was nötig ist, um die nächste Stufe zu erklimmen und damit immer mehr Freude, Liebe und Erfolg zu finden.

Je höher die Stufe des Bewusstseins, umso mehr Glück und Erfolg können wir in jedem Bereich unseres Lebens erfahren. Auf den unteren Stufen finden wir Menschen, deren Leben durch Suchtprobleme, Kriminalität und Gewalttätigkeit ruiniert wird. Auf den mittleren Stufen befinden sich Menschen mit weniger Problemen, aber immer noch nicht in der Lage, wirkliches und dauerhaftes Glück zu erleben. Und auf den höchsten Stufen sehen wir die erleuchteten Menschen, die wie Leuchtfeuer die Welt auf wunderbarste Art und Weise inspirieren.

Jede neue Stufe des Bewusstseins eröffnet in uns neue Möglichkeiten, tiefere Liebe in all unseren Beziehungen zu erleben und mehr Freude und Erfolg in all unseren Bemühungen. Auf der höchsten Stufe erlebt man diese Qualitäten in einem Ausmaß, welches das ganze menschliche Potential umfasst; dies wird als Erleuchtung bezeichnet oder die Vereinigung mit Gott. Diese Stufe ist von grenzenloser Liebe, größter Weisheit und enormer Macht geprägt.

Das Modell der Treppe des Bewusstseins zeigt uns, auf welcher Stufe wir uns im jetzigen Moment befinden und was genau wir tun müssen, um uns weiterzuentwickeln. In anderen Worten, sobald wir erkennen, auf welcher Stufe des Bewusstseins wir uns hauptsächlich befinden, halten wir auch den Schlüssel in der Hand, unser Leben auf die schnellste Weise zu verbessern. In diesem Prozess werden wir das Leben immer mehr als ein Spiel erleben, welches wir mit immer mehr Freude spielen können, statt wie vorher im Dunklen zu tappen und uns oft verwirrt und hoffnungslos zu fühlen. Die Spielregeln des Spiels des Lebens anzuwenden kann genauso viel Freude machen, wie eine schöne neue Fähigkeit zu erlernen, wie z.B. Ski zu fahren oder Salsa zu tanzen.

Das Gute ist, dass allein das Verständnis der Stufen des Bewusstseins fast schon automatisch die höheren Stufen in uns aktiviert und damit mehr wirkliches Glück in unser Leben bringt. Aus diesem Grund konzentriere ich mich in diesem Buch hauptsächlich darauf, die verschiedenen Stufen des Bewusstseins zu beschreiben und wie sie sich in allen Bereichen unseres Lebens entfalten. Dabei werde ich mich auch im Detail auf die Fallgruben auf jeder Stufe konzentrieren (den sogenannten ‘Schlangen’ im Leiterspiel), damit man sie erkennt und sicher umschifft. In den letzten zwei Kapiteln wird man dann eine Liste von geistigen Übungen finden, die diese Entwicklung unterstützen und beschleunigen. (Das sind die sogenannten ‘Leitern’ im Leiterspiel, die wie Abkürzungen auf unserer Lebensreise funktionieren.)

Jedes Kapitel in diesem Buch befasst sich mit einem Aspekt unseres Lebens – Grundmotivation, Gefühl von Selbst, Einstellung zur Welt, spiritueller Glaube, kindliche Entwicklung und Einstellungen gegenüber Liebesbeziehungen, Sexualität, Arbeit, Geld und Elternschaft. Ich werde im Detail beschreiben, wie wir mit all diesen Dingen auf jeder Stufe des Bewusstseins auf sehr unterschiedliche Weise umgehen und was wir verändern müssen, um zu einer höheren Stufe des Bewusstseins vorzudringen und damit das Spiel des Lebens auf freudvollere Weise zu spielen.

Die Stufen des Bewusstseins sind nicht nur reine Theorie. Als Psychotherapeutin und buddhistische Lehrerin habe ich das Wissen über die neun Bewusstseinsstufen an tausenden von Klienten seit Jahrzehnten angewandt und ich habe erlebt, dass dieses Wissen meine Klienten in immer kürzerer Zeit dazu befähigt hat, von den schlimmsten Problemen geheilt zu werden. Ich habe mit vielen Klienten gearbeitet, die die schrecklichsten körperlichen, sexuellen und verbalen Misshandlungen erlebt haben und eine völlige Heilung innerhalb von wenigen Monaten erreicht haben, indem sie die Lektionen der Treppe zum Himmel angewendet haben. Andere erholten sich innerhalb von Wochen von chronischen Angstzuständen, Depressionen und Beziehungsproblemen, ohne die Notwendigkeit, Kindheitstraumata neu zu durchleben oder langatmiger Tiefenanalyse. Ich werde an vielen Fallstudien in diesem Buch aufzeigen, wie diese Heilungen in der Praxis erreicht werden können.

Gleichermaßen können die Erkenntnisse in diesem Buch angewendet werden, um alle unsere Wünsche auf die schnellste und harmonischste Weise zu verwirklichen. Was sogar noch wichtiger ist, man wird lernen, die eigenen Träume auf eine Weise zu manifestieren, dass sie wirkliches Glück für einen selbst und auch alle anderen Wesen bringen werden. In dieser Weise können wir an all unseren Wünschen arbeiten, ob sie nun materiell sind oder mit Beziehungen oder unserem Geisteszustand zu tun haben.

Ich habe auch mit vielen Meditationsschülern gearbeitet, die nicht unbedingt Hilfe für psychologische Probleme oder dem Wünsche manifestieren suchten, sondern nach mehr spiritueller Glückseligkeit, bedingungsloser Liebe und mehr Weisheit suchten. Indem sie das Modell der Treppe zum Himmel anwandten, haben viele dieser Menschen bedeutende ‘spirituelle Durchbrüche’ nach nur kurzer Zeit erlebt. Sie fanden auch ein neues Verständnis, dass sie befähigte, diese Durchbrüche zu stabilisieren und sie zu einem permanenten Teil ihres neuen und spirituelleren Selbst zu machen.

Mein eigener Hintergrund ist der tibetische Buddhismus und alle Einsichten in diesem Buch stehen nach meinem besten Vermögen im Einklang mit dieser Lehre. Die Treppe zum Himmel ist aber nicht nur Buddhisten vorbehalten. Die Spielregeln für das Spiel des Lebens in diesem Buch können von allen Menschen angewendet werden, die danach streben ihr höchstes Potential zu verwirklichen, egal welchen spirituellen, intellektuellen und kulturellen Hintergrund sie haben. Dieses Modell wird allen Menschen helfen, den individuellen spirituellen und persönlichen Entwicklungspfad tiefer zu verstehen und damit dessen Früchte leichter zu ernten. Man lernt also, in den eigenen Pfad tiefer hineinzugehen und dazu muss niemand zum Buddhismus konvertieren.

Man wird auch lernen, das Verhalten anderer Menschen und ganzen Gesellschaften besser zu verstehen. Fragen wie z.B.: „Warum wird eine Person zu einem gewalttätigen Kriminellen, eine andere zu einem erfolgreichen Geschäftsmann und eine dritte zu einer Psychotherapeutin?“ werden einfacher zu beantworten sein. Es wird z.B. auch klar, warum sich manche Menschen von einer fundamentalistischen Religion angezogen fühlen und sogar gewillt sind, Kriege im Namen dieses Glaubens zu führen, während andere nur an Geld interessiert sind und wieder andere nur an mystischen Erfahrungen.

Letztendlich wird man sogar in der Lage sein, die Einstellungen und Verhaltensweisen der Menschen zu einem hohen Grad vorauszusagen, was viel Verwirrung auflösen wird und – was sogar noch wichtiger ist – mehr Toleranz und Akzeptanz anderen Menschen gegenüber ermöglicht. Man wird auch sich selbst gegenüber toleranter und mitfühlender werden, einfach aufgrund der Tatsache, dass man sich selbst besser versteht. All dies wird einem ermöglichen, sich selbst und anderen besser zu helfen und das Glück, die Liebe und den Erfolg zu finden, den wir alle suchen. Mit anderen Worten, man wird endlich die Spielregeln des Lebens so gut verstehen und anwenden können, dass das Leben buchstäblich zu einem freudvollen Spiel wird.

 

Überblick über die neun Stufen des Bewusstseins

Die neun Stufen des Bewusstseins sind wie zwei Treppenfluchten mit einer verbindenden Mittelstufe angeordnet. Es ist möglich, diese neun Bewusstseinsstufen in jedem Menschen, in jeder Kultur der gesamten Menschheitsgeschichte, in jeder Organisation und in jedem Moment  unseres individuellen inneren Erlebens zu erkennen. Hier ist nun ein erster kurzer Überblick über die neun Bewusstseinsstufen der Treppe zum Himmel:

Stufe 0 – Unschuld: Passivität, wenig Motivation, Mangel an Bewusstheit, Gefühl von relativer Harmonie, Genuss und Vertrauen. Der Mensch sagt: „Ich gehöre zu meiner Gruppe.“

Stufe 1 – Dominanz: Wunsch andere zu dominieren, wenn nötig, auf rücksichtslose Weise, Wut, Gier. Der Mensch sagt: „Ich will es und zwar sofort!“

Stufe 2 – Gehorsam: Unterwerfung unter moralische und soziale Regeln einer Autorität, hierarchische Strukturen in Gruppen von Menschen, Selbstverleugnung und Verurteilung von anderen Menschen. Der Mensch sagt: „Ich tue, was man von mir erwartet.“

Stufe 3 – Ehrgeiz: Rationale Weltsicht, Erschaffung eines erfolgreichen Selbstbildes, Konkurrenzdenken, Materialismus. Der Mensch sagt: „Ich kann mehr als andere leisten.“

Stufe 4 – Mitgefühl: Suche nach liebevollen Beziehungen, Erforschung der eigenen Emotionen, Egalitarismus, in Harmonie mit der Natur leben. Der Mensch sagt: „Ich fühle mich anderen Menschen und der Natur nahe.“

Stufe 5 – Verantwortung: Die volle Verantwortung für jedes einzelne Problem im eigenen Leben übernehmen, starkes Interesse an persönlichem Wachstum, der eigenen Berufung folgen. Der Mensch sagt: „Ich manifestiere meine Träume zum besten aller Lebewesen.“

Stufe 6 – Liebe: Altruistische Liebe und spirituelle Entwicklung zum wichtigsten Ziel im Leben machen. Der Mensch sagt: „Ich sende Liebe aus, um die Welt zu heilen.“

Stufe  7 – Glückseligkeit: Erfahrung des eigenen wahren Wesens als glückseliger und weiter Raum, Entwicklung von übernatürlichen Kräften, Zurückziehen in spirituelle Einsiedeleien. Der Mensch sagt: „Meine wahre Natur ist spirituelle Glückseligkeit.“

Stufe 8 – Erleuchtung: Unendliche Liebe und Weisheit, sich selbst als göttlich erleben und die Welt als ein Paradies. Der Mensch sagt: „Ich bin Liebe.“

Die Mehrheit der Menschen in unserer westlichen Gesellschaft befindet sich auf einer der ersten vier Stufen des Bewusstseins. Im Vergleich dazu befinden sich Menschen, die an persönlicher und spiritueller Entwicklung interessiert sind, auf der Mitgefühls-, Verantwortungs- oder sogar auf einer noch höheren Stufe. Dies ist sogar dann wahr, wenn diese Menschen noch Aspekte der niederen Stufen in sich tragen, welche Restbestände von ungelöstem Stress sind. Nur eine sehr kleine Minderheit von Menschen in unserer Gesellschaft haben sich auf den drei höchsten Stufen der Treppe zum Himmel stabilisiert und sind fähig, tiefe Zustände von Liebe, Glück und Ekstase zu erleben und anderen Menschen mit der daraus resultierenden Weisheit zu helfen.

 

Wie man dieses Buch benutzen kann

Die wichtigste Botschaft dieses Buches ist, dass die höheren Stufen des Bewusstseins nicht außerhalb der Reichweite der meisten Menschen liegen, die sich für persönliche Entwicklung interessieren. Es ist wirklich möglich, das Spiel des Lebens zu meistern, wenn man die Regeln gründlich verstanden hat. Indem man versteht, dass das menschliche Wachstum nicht auf zufällige und chaotische Weise stattfindet, wird man in der Lage sein, sich schneller in die Richtung zu verändern, die man sich wünscht. Um dies zu tun, müssen wir uns einfach über unsere eigene vorherrschende Stufe des Bewusstseins klar werden und dann die Lektionen der höheren Stufen integrieren. Wenn man sich auf diese Weise der eigenen Schwachpunkte bewusst wird, dann wird man auch viel leichter verstehen, was genau man tun muss, um sie zu überwinden. In anderen Worten, die Spielregeln zum Spiel des Lebens werden einem unendlich viele Umwege ersparen durch Methoden (Spielregeln), die nicht für die eigene Bewusstseinsstufe passen.

Im dreizehnten Kapitel wird man sieben effektive Techniken finden, die man nutzen kann, um zu den höheren Stufen des Bewusstseins fortzuschreiten. Diese kurzen Methoden werden in vielen spirituellen Traditionen auf der ganzen Welt gelehrt und im elften Kapitel wird man detailliertere Erklärungen zu diesen Herangehensweisen finden. Diese Techniken – also diese Spielregeln – sind nicht neu. Was sie so viel effektiver macht, ist, sie auf der Basis des Verständnisses der eigenen Stärken und Schwachpunkte anzuwenden. Es ist vielleicht überraschend, aber wenn man die eigene Stufe des Bewusstseins besser versteht, dann ist es möglich, erste Einblicke in die höchsten Stufen des Bewusstseins schon nach relativ kurzer Zeit zu bekommen.

Man kann sich sogar auf den höheren Stufen schon nach vergleichsweise kurzer Zeit stabilisieren, wenn man sich tief dazu entschließt. Durch das Konzept des Spiels des Lebens mit den dazugehörigen Spielregeln wird man einfach nicht mehr so viel Zeit dadurch verlieren, sich in Weltanschauungen hineinziehen zu lassen oder Methoden anzuwenden, die für die eigene Stufe des Bewusstseins nicht richtig sind. Am Ende eines jeden Kapitels habe ich Fallstudien von meinen Klienten und Schülern dargestellt, die zeigen, wie man sich von einer Stufe des Bewusstseins zur Nächsten fortbewegt.

Wenn man von ‘niedrigeren’ und ‘höheren’ Stufen spricht, so soll das keine Verurteilung der unteren Stufen bedeuten, sondern darauf hinweisen, dass die niedrigeren Stufen entwickelt werden müssen, bevor man sich auf den höheren Stufen stabilisieren kann. Die niedrigeren Stufen werden niemals völlig zurückgelassen. In einem vollkommen entwickelten menschlichen Wesen bilden alle neun Stufen eine harmonische Ganzheit, die die Person befähigen wird, mit allen Herausforderungen des Lebens effektiv umzugehen.

Jeder hat das Potential alle neun Stufen des Bewusstseins zu entwickeln. Aus diesem Grund ist niemand gänzlich ‘niedriger’ oder ‘höher’. Auf den unteren Stufen sind die Menschen jedoch nicht fähig, die höheren Stufen zu verstehen und in der Regel verleugnen sie auch deren Existenz. Stattdessen glauben sie, dass sie sich selber auf der höchsten Stufe des Bewusstseins befinden. Diese Art von ‘Blindheit’ versucht dieses Buch aufzuheben, um es allen Menschen zu ermöglichen, sich schneller zu entwickeln.

Dieses Buch kann auf drei verschiedene Weisen gelesen werden. Die erste Weise ist, das Buch ganz einfach von vorne nach hinten in der traditionellen Art durchzulesen. Es ist genauso gut möglich, dieses Buch mit dem Kapitel zu beginnen, das einen am meisten interessiert und dann die anderen Kapitel in der Folge zu lesen, die einem gefällt. Die dritte Möglichkeit ist, immer nur eine Stufe des Bewusstseins tiefer zu erforschen, indem man in jedem Kapitel jeweils nur den Abschnitt über diese Stufe liest. Auf diese Weise wird man ein tieferes Verständnis über eine spezielle Ebene des Bewusstseins erreichen.

Um am besten von dem Konzept der Treppe des Bewusstseins zu profitieren, ermutige ich alle meine Leser und Leserinnen, die Spielregeln gründlich im eigenen Leben und bei anderen Menschen, die man kennt, zu testen. Ich heiße auch wissenschaftliche Studien über meine Beobachtungen willkommen.

Kapitel eins

Ein erster Überblick über die neun Stufen des Bewusstseins

Was wird durch die Stufen des Bewusstseins gekennzeichnet? Zunächst ist es wichtig zu verstehen, dass die Stufen des Bewusstseins nichts mit Intelligenz oder Bildung zu tun haben. Selbst Menschen mit hohem Bildungsniveau können auf den unteren Stufen des Bewusstseins stecken bleiben und eine Person mit geringem Bildungsniveau hat keinen Nachteil beim Vorankommen zu den höheren Stufen. Die Stufen des Bewusstseins haben eher mit emotionaler Intelligenz zu tun, aber es ist auch viel mehr als das. Was wir uns hier ansehen, kann treffender als Stufen von immer größerer Weisheit beschrieben werden – es ist die Fähigkeit einer Person, ihre inneren und äußeren Erfahrungen so zu organisieren, dass sie dadurch dauerhaftes, wirkliches und tiefes Glück erlangt und auch die Fähigkeit, andere Menschen glücklich zu machen.

Diese Art von Glück umfasst jeden Aspekt des Lebens – das Vermögen, in all unseren Beziehungen Erfüllung zu finden und die Fähigkeit, mit inspirierender Arbeit eine zufriedenstellende Menge Geld zu verdienen. Es umfasst auch die Fähigkeit, angesichts einer Tragödie einen positiven Gemütszustand aufrechtzuerhalten, ein Gefühl der Kontrolle in einer sich ständig verändernden Welt, tiefe spirituelle Erfüllung und vor allem die Fähigkeit, die ganze Welt von den eigenen Handlungen profitieren zu lassen.

Wir haben drei Haupteigenschaften in uns, die bestimmen, wie weit wir diese Ziele erreichen können und diese Qualitäten sind Liebe, Macht und Weisheit. Liebe wird als die Fähigkeit definiert, für andere in dem Maße zu sorgen, in dem wir auch für uns selbst sorgen. Macht ist die Fähigkeit, die Welt (zum Besseren) zu ändern und Weisheit ist die Fähigkeit, Liebe und Macht in einem perfekten Gleichgewicht anzuwenden. Wir werden dieses perfekte Gleichgewicht von Liebe und Macht im vierten Kapitel  noch tiefer erforschen.

Auf den unteren Stufen des Bewusstseins erleben Menschen die Welt als einen ein- oder zweidimensionalen Ort und ihre Versuche, Erfüllung zu finden, sind entsprechend begrenzt. Während wir auf der Treppe des Bewusstseins fortschreiten und die Spielregeln zum Spiel des Lebens anwenden lernen, werden wir in der Lage sein, immer mehr Komplexität zu bewältigen. Aus diesem Grund werden wir letztendlich in der Lage sein, Zustände der grenzenlose Liebe, sogenannte übernatürliche Fähigkeiten und tiefste Weisheit zu erreichen.

 

Die eigene vorherrschende Stufe des Bewusstseins bestimmen

Dieses Buch wurde von ein paar Dutzend Menschen testgelesen. Während der langen Gespräche mit meinen Testlesern bemerkte ich, dass einige Leute (insbesondere Frauen), eine Neigung dazu hatten, sich auf einer niedrigeren Stufe des Bewusstseins zu sehen, als sie sich tatsächlich befanden. Die menschliche Natur bewirkt leider, dass wir es schwierig finden, uns selbst objektiv zu betrachten. Um es einfacher zu machen, unsere eigene vorherrschende Stufe des Bewusstseins zu ermitteln, möchte ich die folgenden Empfehlungen geben:

Die meisten Menschen, die sich für bewusstseinserweiternde Bücher interessieren, befinden sich auf den Mitgefühls- und Verantwortungs-Stufen (oder sogar darüber). Aus diesem Grund schlage ich vor, dieses Buch in der Annahme zu lesen, dass man sich zumindest auf der Mitgefühls-Stufe befindet.

Ich schlage vor, sich zuerst die positiven Aspekte jeder Stufe des Bewusstseins anzusehen und zu entscheiden, ob man sich mit ihnen identifizieren kann. Man sollte jedoch beachten, dass jeder Mensch die Stufen auf seine eigene individuelle Art ausdrückt; somit ist es nicht notwendig, dass jeder Mensch jeden einzelnen Aspekt meiner Beschreibungen erlebt.

Im nächsten Schritt kann man versuchen festzulegen, ob auch einige der schwierigen Aspekte der Bewusstseinsstufen auf einen zutreffen. Man sollte sich aber nicht durch die vielen negativen Aspekte, die sich auf den verschiedenen Stufen des Bewusstseins entwickeln können, entmutigen lassen. Diese problematischen Aspekte treten nur dann auf, wenn Menschen zu lange auf einer Stufe des Bewusstseins verbleiben und deren Lektionen im Extrem ausführen. Aus dem Grund treffen sie nicht auf jeden zu, oder nur in Stress-Situationen.

Möglicherweise stellt man fest, dass man sich zwischen zwei Stufen des Bewusstseins befindet. Es kann zum Beispiel sein, dass man sich auf der Ehrgeiz-Stufe auf dem Weg zur Mitgefühls-Stufe, oder auf der Mitgefühls-Stufe auf dem Weg zur Verantwortungs-Stufe befindet. Es ist auch möglich, dass man zwei verschiedene Stufen des Bewusstseins in verschiedenen Bereichen seines Lebens aufweist. Einige Menschen können zum Beispiel an ihrem Arbeitsplatz auf der Ehrgeiz-Stufe stehen, während ihre intimen Beziehungen bereits von der Mitgefühls-Stufe bestimmt werden. Das ist ziemlich normal, da wir keine statischen Wesen sind, sondern uns in einem Zustand des ständigen Wandels befinden. Worum es geht, ist, sich selbst besser zu verstehen.

Man sollte nicht allzu beunruhigt sein, wenn man Aspekte der unteren Stufen des Bewusstseins im eigenen Charakter identifizieren kann. Jeder hat gelegentliche Momente der Unbewusstheit, was ein Zeichen der Unschulds-Stufe ist und die meisten Menschen haben auch hin und wieder wütende Dominanz-Ausbrüche. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass man sich komplett auf diesen Stufen befindet. Vielleicht begibt man sich nur unter Stress dorthin, was relativ normal ist. Der Zweck dieses Buches ist es, Menschen zu helfen, solche Stress-Symptome so schnell wie möglich hinter sich zu lassen.

Man sollte auch Ausschau nach Aspekten der höchsten Stufen des Bewusstseins halten, mit denen man sich identifizieren kann. Die eigene vorherrschende Stufe des Bewusstseins befindet sich dann oft eine oder zwei Ebenen unterhalb dieser Stufe. Wenn man sich zum Beispiel mit bestimmten Aspekten der Liebes-Stufe identifizieren kann – aber mit keinen Aspekten der Glückseligkeits-Stufe – dann ist die eigene vorherrschende Stufe vermutlich die Verantwortungs-Stufe oder die Mitgefühls-Stufe.

Zu guter Letzt sollte man daran denken, dass das echte Leben niemals so geordnet und klar ist, wie Bücher es darstellen. Die Stufen des Bewusstseins sind von Natur aus fließend und wenn man eine lebhafte Person ist, so wird man vermutlich viele verschiedene Stufen des Bewusstseins in sich selbst erkennen. Wenn man sich dieser Bewusstseinsebenen bewusst wird, dann ist das schon ein großer Schritt vorwärts, denn er ermöglicht uns, dass wir uns selber aussuchen können, zu welcher Stufe des Bewusstseins wir fortschreiten wollen. In diesem Buch geht es darum, alle Menschen darin zu bestärken, eine solche positive  Wahl zu treffen.

 

Fallstudien von Menschen auf verschiedenen Ebenen des Bewusstseins

In den folgenden Abschnitten werde ich einige Menschen beschreiben, die sich auf den verschiedenen neun Stufen des Bewusstseins befinden. Selbstverständlich habe ich alle Namen und persönlichen Informationen geändert, um die Anonymität dieser Menschen zu schützen. Für einen ersten Hinweis auf die eigene vorherrschende Stufe des Bewusstseins sollte man darauf achten, mit wem man sich anhand der folgenden Fallstudien am stärksten identifizieren kann. Wer mag, kann auch versuchen, Bekannte und Freunde zu identifizieren, die sich wie die Menschen in diesen Fallstudien verhalten.

Nicht jeder, der sich auf der gleichen Stufe des Bewusstseins befindet, verhält sich genau wie in den unten aufgeführten Beschreibungen. Die Menschen variieren darin, wie stark sie die positiven oder negativen Merkmale jeder Stufe aufzeigen. In der realen Welt sind die Menschen auch vielschichtiger als diese Beispiele darlegen, denn manchmal gehen wir unter Stress zu den unteren Stufen des Bewusstseins zurück oder wir erreichen auch die höheren Stufen, wenn wir uns selbstsicherer und liebevoller fühlen. Diese Vielschichtigkeit und das Fließverhalten der Himmelstreppe werde ich später ausführlicher erörtern.

 

Fallstudie der Unschulds-Stufe

Ich möchte Barbara vorstellen: sie ist 43 Jahre alt und war eine meiner Klientinnen. Sie ist eine sehr freundliche Person, die zu mir kam, weil sie mit Übergewicht und mit einem Mangel an Disziplin in ihrer selbstständigen Tätigkeit kämpfte.

Barbaras Essgewohnheiten waren ziemlich extrem, denn sie ging nie in einen Lebensmittelladen einkaufen, sondern kaufte jede einzelne Mahlzeit in Fast-Food Restaurants. Ein großer Teil ihrer Ernährung bestand deshalb aus Junk-Food. Ihre Arbeitsgewohnheiten waren noch extremer. Sie kam kaum vor Mittag aus dem Bett und wenn sie endlich aufstand, verbrachte sie viele Stunden des Tages mit Tagträumerei. Barbara machte nie Pläne für den Tag und verlor sich häufig in unwichtigen Aktivitäten, anstatt wichtige Aufgaben zu erledigen. Wenn sie z.B. eine dringende Arbeit zu erledigen hatte, die längst überfällig war, surfte sie stattdessen im Internet oder saß verträumt an ihrem Schreibtisch.

Barbara erzählte mir, dass sie als jüngstes Kind von sehr liebevollen Eltern eine „extrem glückliche Kindheit“ gehabt hatte. Sie hatte immer noch eine sehr enge Beziehung zu ihrer Mutter, mit der sie mindestens einmal am Tag telefonierte und regelmäßig den Urlaub verbrachte.

Barbara weist starke Merkmale der Unschulds-Stufe des Bewusstseins auf. Sie hatte praktisch überhaupt keine Angst, dass ihr jemals etwas Schlimmes zustoßen könnte und das führte zu ihrem verantwortungslosen Verhalten alle Arbeit ständig aufzuschieben. Sie hatte auch Probleme damit, sich selbst wahrzunehmen und fand es schwierig, irgendetwas zu fühlen. Sie war „nie wirklich traurig und nie wirklich glücklich“ und sie konnte nicht einmal sagen, ob sie die ständigen Anrufe ihrer Mutter mochte.

Barbara hatte eine nette Persönlichkeit und war sehr umgänglich, aber es war schwierig, mit ihr als Klientin zu arbeiten. Sie vergaß häufig ihre Sitzungen bei mir, oder sie tauchte zu spät auf. Sie vergaß auch die kleinen Hausaufgaben, die ich meinen Klienten regelmäßig aufgebe. Dieser Mangel an Verlässlichkeit ist ein weiteres Zeichen der Unschulds-Stufe. Es war keine Überraschung, dass ihre Fortschritte in der Therapie bei mir langsam waren.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Barbara zum Einen eine Überdosis Vertrauen hatte, die sie bequem machte und zum Anderen an einem großen Mangel an Willenskraft litt, der es ihr fast unmöglich machte, ihre Ziele im Leben zu erreichen. In diesem Sinne war sie wie ein kleines Kind, dass unschuldig daran glaubt, dass Mama und Papa sich um alles kümmern werden.

Positiv gesehen sind Unschulds-Menschen sehr angenehm und nett und würden niemals versuchen jemand einzuschüchtern. Dieser Gleichmut ist jedoch nicht das Ergebnis einer bewussten Anstrengung, sondern stammt von einem Mangel eines eigenständigen Selbsts. Aus diesem Grund sind diese Menschen nicht fähig, ihre eigenen Emotionen und Wünsche wahrzunehmen.

In der westlichen Welt findet man viele Menschen mit Unschulds-Dynamiken, besonders dann, wenn sie eine sehr angenehme Kindheit hatten. Es kann leider ein zweischneidiges Schwert sein, überfürsorgliche Eltern zu haben, wie wir in Barbaras Fall erkennen können.

 

Fallstudie der Dominanz -Stufe

Michael ist ein charmanter, gutaussehender Mann in den Dreißigern. Er ist Physiotherapeut, liebt es zu reisen und geht gern auf Partys. Michael hat es sehr leicht mit Frauen und hat mit Hunderten von ihnen geschlafen. Seit er ein Teenager war, hatte er eine Freundin nach der anderen und immer viele Affären nebenbei. Leider gerät er auch immer schnell mit seinen Partnerinnen in Streit und findet es oft unmöglich, seine Wut zu kontrollieren. Er hat viele seiner Freundinnen geschlagen, belogen und hat jede einzelne von ihnen betrogen.

In seiner Tätigkeit als Physiotherapeut hat Michael ähnliche Probleme. Durch seinen Charme findet er es anfangs oft leicht, seine neuen Kollegen dazu zu bringen, ihn zu mögen, aber er entwickelt auch immer schnell viele Konflikte. Das geschieht, weil er sich nicht an die Regeln hält und sogar einige seiner Patientinnen missbraucht hat. Kein Wunder also, dass Michael oft entlassen wurde.

Als er jünger war, hat Michael Heroin und alle möglichen anderen Drogen genommen. Aber seit seinem 28-igsten Lebensjahr beschränkte er sich auf Alkohol und wurde schnell zum Alkoholiker.

Michael ist auf der Dominanz-Stufe des Bewusstseins. Er folgt blind all seinen seinen Impulsen, er ‘löst’ seine Probleme mit Gewalt und er betrügt seine Mitmenschen rücksichtslos, um seinen Willen zu bekommen. Als Folge davon hat er mehrere uneheliche Kinder, seine Beziehungen sind zutiefst unglücklich und er hat schwere gesundheitliche Probleme, die von seinem Drogen- und Alkoholmissbrauch herrühren.

In unserer Gesellschaft sind alle Menschen, die lügen, betrügen und auf gewalttätiges und missbräuchliches Verhalten zurückgreifen, um ihre Probleme zu ‘lösen’, auf der Dominanz-Stufe.

Es ist jedoch wichtig zu erkennen, dass die Dominanz-Stufe nicht insgesamt nur destruktiv ist. Verglichen mit der Unschulds-Stufe ist sie einen Schritt weiter, weil sie die Menschen mit ihrer größten Kraft in Berührung bringt – ihrem Willen. Auf der Unschulds-Stufe haben die Menschen noch nicht genug Willenskraft, um ihr Leben und die Welt um sie herum zum Besseren zu ändern. Wenn Barbara, die im ersten Abschnitt vorgestellt wurde, mehr Zugang zu ihrer Willenskraft hätte, wäre sie in der Lage, ihre Probleme der Faulheit und Träumerei zu lösen.

Unsere Willenskraft kann für positive als auch für destruktive Zwecke benutzt werden und viele Menschen müssen erst eine Phase durchlaufen, in der sie die negativen Konsequenzen von zu viel Selbstsucht erleben. Sie müssen diese Lernschlaufe wiederholen, bis sie lernen, ihre Willenskraft zum Wohle der Allgemeinheit zu nutzen. Dies kann nur auf der nächsten Stufe des Bewusstseins erreicht werden – der Gehorsams-Stufe.

 

Fallstudie der Gehorsams-Stufe

Ich möchte Jennifer vorstellen, eine 40 Jahre alte, alleinstehende Frau. Jennifer ist eine tiefreligiöse Person und versucht, ihr Leben nach den religiösen Schriften zu leben, so gut sie es kann. Für Jennifer bedeutet das, sich fast alle ihre persönlichen Wünsche zu verweigern, einschließlich einen Freund zu haben und in ihrer Berufslaufbahn als Erzieherin voranzukommen. In Jennifers Kopf besteht der schnellste Weg zu Gott darin, eine Nonne zu sein, oder zumindest wie eine Nonne zu leben.

Jennifer ist eine sehr freundliche Frau, die nur mit leiser Stimme spricht und einen offensichtlichen Mangel an Selbstvertrauen hat. Wenn sie einen persönlichen Konflikt mit jemandem hat, dann traut sie sich in der Regel nicht, ihre Meinung zu äußern, sondern wird stattdessen oft krank. Jennifer leidet auch häufig unter Rückenschmerzen, Erschöpfung und Angst. Sie glaubt aber leider, dass diese Symptome durch ihren Mangel an spiritueller Hingabe verursacht werden und fühlt sich schuldig, weil sie sie hat. Diese selbstzerstörerische Einstellung macht ihren Zustand natürlich nur noch schlimmer.

Jennifer ist in keinster Weise daran interessiert, etwas in ihrer Berufslaufbahn oder sonstwo in ihrem Leben zu erreichen. Stattdessen ist sie insgeheim stolz darauf, dass sie sich ihre Wünsche versagt und mit einem Minimum an Geld auskommt. Sie macht sich auch gern das Leben ein bisschen schwerer, wo immer sie nur kann und spürt Befriedigung, wenn sie ihre vielen selbst auferlegten Entbehrungen ertragen kann. Im Winter z.B. hält sie die Temperatur in ihrer Wohnung weit unter dem, was die meisten anderen Menschen für angenehm halten. Sie wäscht auch ihre sämtliche Wäsche von Hand und gönnt sich nicht mal eine warme Dusche, sondern wäscht sich im eiskalten Badezimmer am Waschbecken.

Jennifers größte Angst ist es, in die Hölle zu kommen. Diese Angst hält sie manchmal nachts wach und verursacht ihr viele Qualen. Selbst die beruhigenden Worte ihres Priesters konnten ihre Angst nicht mildern, denn Jennifer fühlt sich oft so sündig, dass sie Angst davor hat, dass ihr der Abstieg in die Hölle in Kürze bevor steht.

Jennifers Freunde wissen nichts von ihren Sorgen, weil sie glaubt, es wäre eine Sünde, andere Personen mit ihren Problemen zu belasten. Kein Wunder also, dass Jennifer auch einen Mangel an Einfühlsamkeit hat und sogar ziemlich ablehnend werden kann, wenn einer ihrer Freunde versucht, mit ihr über ihre Probleme zu reden. Obwohl Jennifer versucht ein spirituelles Leben zu führen, hat sie nicht viel Mitgefühl – weder für sich selbst, noch für andere.

Jennifer ist ein ziemlich extremes Beispiel von einem Menschen auf der Gehorsams-Stufe. Sie fühlt sich sündig und unwürdig und sie versucht, sich zu bessern, indem sie immer selbstaufopfernder wird. Sogar der kleinste Genuss führt dazu, dass sie sich schuldig fühlt – was der Grund dafür ist, dass sie sich nicht erlauben kann, einen Partner zu haben.

In unserer Gesellschaft ist jeder, der Probleme mit dem eigenen Selbstwert hat und ein selbstaufopferndes Leben des Selbstverzichts lebt, auf der Gehorsams-Stufe des Bewusstseins. Traditionelle Religionen – insbesondere fundamentalistische Religionen – spielen eine starke Rolle in diesem Verhalten und werden dazu verwendet, Selbstverzicht und Mangel an Ehrgeiz zu rechtfertigen.

Auf der positiven Seite hilft die Gehorsams-Stufe den Menschen, ihr asoziales Verhalten zu zügeln und ein moralisch anständiges Leben zu führen. Michael, der im vorigen Abschnitt vorgestellt wurde, würde sehr davon profitieren, die Lektionen der Gehorsams-Stufe aufzunehmen. Um jedoch den unnötigen Selbstverzicht der Gehorsams-Stufe loszulassen, müssen Menschen zur nächsten Stufe des Bewusstseins fortschreiten – der Ehrgeiz-Stufe.

 

Fallstudie der Ehrgeiz-Stufe

Ich möchte Linda (42 Jahre alt) vorstellen, eine berufstätige Mutter von zwei kleinen Kindern. Linda ist eine gut verdienende Anwältin, deren größter Wunsch es ist, mit 45 in Rente zu gehen.

Linda wurde als Katholikin erzogen, aber sieht jetzt auf Leute herab, die ‘Religion als Stütze brauchen, weil sie nicht ohne eine Art himmlischen Vater klarkommen können’. Linda ist extrem ehrgeizig und macht sich auch sehr viel aus Geld. „Ich habe nicht viel erreicht“, jammert sie, „ich habe nur ein kleines Haus, zwei alte Autos und fahre nur zwei Mal im Jahr in Urlaub.“ In Wirklichkeit hat Lindas ‘kleines’ Haus acht Schlafzimmer, sie besitzt ein zweites Haus an einem Ferienort, sie kauft sich alle drei Jahre ein neues Auto und macht bis zu fünf Auslandsurlaube pro Jahr.

Linda ist auch extrem ehrgeizig, wenn es um ihre Kinder geht. Sie besuchen beide eine der besten Privatschulen der Gegend und sie sind in zahlreichen und teuren außerschulischen Aktivitäten engagiert, die ihre Entwicklung fördern sollen.  Lindas Job beinhaltet extrem lange Arbeitszeiten, weshalb sie ihre Kinder außer an den Wochenenden kaum sieht. Ihre zwei Töchter werden von einem durchorganisierten Netzwerk, bestehend aus Kindermädchen, außerschulischen Aktivitäten und Tagesstätten, betreut.

Linda verspürt ziemlich viel Unzufriedenheit in ihrem Leben, obwohl sie alles hat, wovon viele Menschen träumen. Ihr äußerst erfolgreicher Job ist extrem stressig und ermöglicht ihr nicht viel Zeit mit ihrer Familie. Die Beziehung zu ihrem Ehemann ist nicht wirklich schlecht, aber auch nicht wirklich glücklich. Die beiden verhalten sich ein wenig wie Geschäftspartner, die versuchen, so viel Geld wie möglich anzuhäufen, in der Hoffnung, dem erbarmungslosen Konkurrenzkampf zu entkommen und in möglichst wenigen Jahren in Frührente zu gehen. Obwohl Linda unter verschiedenen psychologischen Problemen leidet und ihr Ehemann mit Depressionen kämpft, würden die beiden niemals zugeben, diese Probleme zu haben.

Linda und ihr Ehemann sind auf der Ehrgeiz-Stufe des Bewusstseins und schätzen ein eindrucksvolles Selbstbild mehr als alles andere. Sie haben beide die Fesseln einer strengen religiösen Erziehung hinter sich gelassen und sind nun stolz auf ihre rationale Weltsicht, Gleichberechtigung (Linda verdient mehr als ihr Ehemann) und ihre Fähigkeit, sich ein beeindruckendes Haus leisten zu können.

In der westlichen Welt sind die meisten Menschen auf der Ehrgeiz-Stufe des Bewusstseins und glauben, dass sie den Höhepunkt der menschlichen Entwicklung erreicht haben. Auf der positiven Seite gibt die Ehrgeiz-Stufe den Menschen das Selbstbewusstsein, ihr eigenes vernunftbetontes Urteilsvermögen anzuwenden und große Erfolge zu erreichen. Viele von Jennifers Problemen (die im vorigen Abschnitt besprochen wurden) könnten ausgeräumt werden, wenn sie das Selbstbewusstsein der Ehrgeiz-Stufe entwickeln würde, um die irrationalen Konzepte in Frage zu stellen, unter denen sie so sehr leidet.

Aber hinter jedem eindrucksvollen Selbstbild einer Person auf der Ehrgeiz-Stufe gibt es immer die Welt der emotionalen und spirituellen Bedürfnisse, die völlig ignoriert werden. Um diese emotionale Leere der Ehrgeiz-Stufe zu beheben, müssen die Menschen zur nächsten Stufe des Bewusstseins fortschreiten – der Mitgefühls-Stufe.

 

Fallstudie der Mitgefühls-Stufe

Ich möchte Susi vorstellen, eine 30-jährige Frau, die zusammen mit ihrem Ehemann als Betreuerin von geistig behinderten Erwachsenen arbeitet. Susi und ihr Ehemann haben beide einen hohen Bildungsstand, aber haben sich dafür entschieden, als ungeschulte Betreuer zu arbeiten, um für andere zu sorgen. Susi würde gern als selbstständige Psychotherapeutin arbeiten, aber sie findet, dass es ‘nicht richtig’ ist, Menschen so viel Geld für Therapie-Sitzungen zu berechnen.

Susis Haus ist in einem Zustand der ‘kreativen Unordnung’ und wurde seit Jahren nicht mehr ordentlich gesäubert. Ihr Garten ist ein undurchdringliches Dickicht aus dornigen Brombeerbüschen, Brennnesseln und riesigen alten Bäumen. „Ich mag es natürlich“, sagt Susi, „und meine Beziehungen und psychologischen Angelegenheiten sind mir viel wichtiger, als ein makelloses Haus.“ Susi und ihr Ehemann haben in der Tat einen großen Freundeskreis und sie erhalten häufig Telefonanrufe von Freunden, die über ihre Gefühle und Beziehungen reden wollen.

Susi verbringt jeden Tag viele Stunden damit, Psychologiebücher zu lesen und über ihre emotionalen Themen zu reden. Während dieser Gespräche bricht sie oft in Tränen aus, was Susi als einen ‘wichtigen Prozess’ ansieht. Susi ist im Grunde in einem chronischen Zustand der Trauer über die Traumata, die ihr von ihren Eltern zugefügt wurden. In Wirklichkeit war Susis Kindheit ziemlich ereignislos.

Trotz ihrer häufigen Tränen ist Susi stark motiviert, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen. Aus diesem Grund sind sie und ihr Ehemann sehr ökologisch gesinnt und sie ernähren sich aus ethischen Gründen streng vegetarisch.

Susi und ihr Ehemann haben zwei Kinder, die ihre Eltern mit deren Vornamen ansprechen. Beide Kinder wurden weit über ein Jahr gestillt und ausschließlich in Baby-Tragetüchern getragen, statt in einem Kinderwagen geschoben zu werden. Sie schliefen auch im Bett ihrer Eltern, bis sie sechs Jahre alt waren. Als die Kinder älter wurden, wurden sie niemals bestraft und selten diszipliniert. Es gibt keinen Fernseher in Susis Haus und die Kinder haben nur ein Minimum an Holzspielzeugen, „damit sie lernen, ihre Vorstellungskraft zu gebrauchen.“

Susi und ihr Ehemann sind auf der Mitgefühls-Stufe des Bewusstseins und sie konzentrieren sich überwiegend auf die Entwicklung von sehr engen Beziehungen und auf die Fürsorge für andere Menschen und die Umwelt. Sie empfinden starkes emotionales Mitgefühl für alle leidenden Kreaturen, aber sie empfinden leider auch eine Menge Selbstmitleid. Anstatt die Verantwortung für ihre Probleme zu übernehmen, versuchen sie immer, ihren Eltern und der ‘Gesellschaft’ die Schuld für ihr Leiden zuzuweisen. Sie sind auch zutiefst misstrauisch gegenüber jedem, der zu unserer vorherrschenden Konsumgesellschaft (Ehrgeiz-Ebene) gehört. Stattdessen glauben sie, dass die Reichen ihre Schätze mit den Armen teilen sollten und dass niemand versuchen sollte, über Anderen zu stehen. Ihrer Meinung nach wären wir alle viel glücklicher, wenn wir zu einem ‘natürlichen’ Lebensstil zurückkehren könnten, der frei von Hierarchie und Gier ist.

Für einige Menschen mögen die Gefühle und das Verhalten von Susi und ihrem Ehemann ein wenig lächerlich erscheinen, verglichen mit dem schicken Selbstbewusstsein und den vielen Erfolgen der zuvor beschriebenen Ehrgeiz-Stufe. Dieser Spott wäre jedoch fehl am Platz. Die Mitgefühls-Stufe ist ein sehr mutiges Zulassen unserer inneren Verletzlichkeiten. Nur durch diese Demut werden Menschen in der Lage sein, aufrichtig gespürtes Mitgefühl und Barmherzigkeit zu entwickeln. Mitgefühls-Menschen sind zutiefst motiviert, ihre Reichtümer mit den Armen und Bedürftigen zu teilen. Sie sind auch zum ersten Mal in ihrem Leben in der Lage, wahrhaft erfüllende Vertrautheit in ihren Beziehungen zu anderen Menschen zu finden. Linda und ihr Ehemann, die im vorigen Abschnitt vorgestellt wurden, könnten die meisten ihrer Probleme überwinden, wenn sie in der Lage wären, diese Mitgefühls-Herangehensweise zu übernehmen.

Wenn die meisten Menschen in unserer Gesellschaft auf der Mitgefühls-Stufe des Bewusstseins wären, hätten wir tatsächlich eine zutiefst barmherzige Gesellschaft und all unsere Umweltprobleme wären gelöst. Ein Problem auf der Mitgefühls-Stufe ist jedoch die Unfähigkeit, selbstsüchtigen und destruktiven Menschen (Dominanz-Ebene) selbstbewusst entgegenzutreten und diese zu kontrollieren. Stattdessen versuchen sie diesen Menschen mit Therapie zu helfen, was aber von Dominanz-Menschen nur ausgenutzt wird. Somit fungiert die Mitgefühls-Stufe oft unabsichtlich als ein Samenbeet des Bösen. Um diese Probleme auszuräumen, müssen die Menschen zur nächsten Stufe fortschreiten – der Verantwortungs-Stufe.

 

Fallstudie der Verantwortungs-Stufe

Nun stelle ich Johann vor, der 55 Jahre alt ist und als Unternehmensberater arbeitet. Johann scheint voller Widersprüche zu sein. Er ist sozial und aufgeschlossen, liebt es aber, alleine für sich zu sein. Er hat eine unkomplizierte und humorvolle Einstellung fast allen Dingen gegenüber; aber seine persönliche spirituelle Entwicklung nimmt er sehr ernst. Seine politischen Überzeugungen sind eine merkwürdige Mischung aus liberalen und konservativen Ideen, die man sonst selten findet. Er bezeichnet sich selbst als politisch links; hat allerdings keine Geduld für Menschen, die versuchen, die Gesellschaft für das asoziale Verhalten von anderen Menschen verantwortlich zu machen. Johann liest alles, von Philosophiebüchern bis hin zu Biographien und spirituellen Selbsthilfe-Büchern – er liest sogar ab und zu gern eine Boulevard-Zeitung. Während er täglich Probleme löst und seine Beratungstätigkeit ausübt, hat Johann seine Füße fest auf dem Boden; wenn er aber spürt, dass er in seinem Leben an einer Kreuzung angekommen ist, zögert er nicht, einen Tarot-Leser zu befragen.

Der eine Faden, der die vielen Widersprüche in Johanns Leben zusammenhält, ist seine radikale Einstellung, die volle Verantwortung für all seine Schwächen und Probleme zu übernehmen und sein reges Interesse, ein Leben von tiefer Erfüllung und Liebe zu erreichen. Er würde nicht im Traum seinen Eltern oder der Gesellschaft die Schuld für seine Probleme geben, wie er es noch vor zehn Jahren getan hatte, als er noch auf der Mitgefühls-Stufe war. Er wäre auch nicht damit zufrieden, ein ‘normaler’ Unternehmensberater zu sein, wie zu Beginn seiner Karriere, als er noch auf der Ehrgeiz-Stufe war. Stattdessen empfindet Johann ein Gefühl von Berufung, Wirtschaftsunternehmen den Vorteil einer altruistischen und selbstlosen Motivation beizubringen.

Johann besucht regelmäßig spirituelle Lehrer mit unterschiedlichen Hintergründen, ohne sich viel um irgendwelche religiösen Dogmen zu kümmern. Sein einziges Interesse ist, ob eine spirituelle Methode auf greifbare Weise zu mehr Liebe und Weisheit führt. Das ist der andere gemeinsame Nenner in Johanns Verhalten. Er probiert immer alles auf sehr pragmatische Art aus und hält sich einfach an das, was für ihn funktioniert. Er verbindet zum Beispiel das Wissen westlicher Schulmedizin und alternativer Heilmethoden zum Wohle seiner Gesundheit und beim Kauf von Aktien nimmt er astrologische Daten ebenso ernst, wie eine Beratung durch einen Finanzexperten.

Johann ist sehr erfolgreich darin, seine Wunschträume zu visualisieren und sie tatsächlich zu verwirklichen. Vor einigen Jahren zum Beispiel, als er keine Partnerin hatte, schrieb er eine Wunschliste über seine ideale Ehefrau, die 20 Eigenschaften umfasste. Alle seine Freunde fanden diese Liste viel zu fordernd und unrealistisch. Nachdem er jedoch seine Traumbeziehung drei Jahre lang täglich visualisiert hatte, traf er eine wundervolle Frau, die alle Punkte auf dieser Liste erfüllte und sie teilweise sogar übertraf. Kurz darauf heirateten sie und visualisierten zusammen weitere Wunschträume, bis ein wunderschönes Landhaus, ein Meditationszentrum und mehrere kleinere Projekte Wirklichkeit wurden.

Johann fühlt sich sehr selbstsicher, aber einige Leute, die ihn kennen, würden ihn als über-optimistisch beschreiben. Es irritiert sie, wenn er Dinge sagt wie: „Jeder Mensch hat genau das Leben, um das er gebeten hat“, oder „jede Krankheit ist der exakte Spiegel der negativen Einstellungen der Menschen“, oder sogar „wenn du nicht hast, was du haben willst, dann ist dies so, weil du zu negativ denkst.“ Einige Menschen finden diese Einstellungen zu extrem und auch ein bisschen mitleidslos.

Johann befindet sich auf der Verantwortungs-Stufe des Bewusstseins. Indem er die volle Verantwortung für all seine Gedanken und Gefühle übernimmt, hat er gelernt, sich selbst mit all seinen inneren Widersprüchen zutiefst zu akzeptieren. Diese positive Einstellung gibt ihm eine innere Freiheit, die er noch nie zuvor in seinem Leben gespürt hat und er kann mit radikaler Ehrlichkeit, aber auch mit erfrischendem, selbstironischem Humor über all seine Schwächen reden und lachen.

Alle Menschen in unserer Gesellschaft, die die volle Verantwortung für all ihre Probleme übernehmen, eine aufgeschlossene, pragmatische Lebenseinstellung haben, verspielt, aber auch diszipliniert sind; fähig etwas zu leisten und ein reges Interesse daran haben, ihre Träume zum Wohle der ganzen Menschheit zu verwirklichen, sind vermutlich auf der Verantwortungs-Stufe des Bewusstseins. Susi und ihr Ehemann, die im vorigen Mitgefühls-Abschnitt vorgestellt wurden, könnten genauso glücklich wie Johann werden, sobald sie die befreienden Einstellungen der Verantwortungs-Stufe übernehmen. Um anderen Menschen noch besser helfen zu können, müssen die Menschen jedoch liebevoller werden und die etwas unbarmherzigen Einstellungen der Verantwortungs-Stufe loslassen und damit zur nächsten Stufe des Bewusstseins fortschreiten – der Liebes-Stufe.

 

Fallstudie der Liebes-Stufe

Ich möchte Pierre vorstellen, der ein Coach und Workshop-Leiter mittleren Alters ist, und der seit vielen Jahren glücklich verheiratet ist. Pierre hat die Anwendung der liebevollen Güte zum zentralen Thema seines Lebens gemacht. Vor vielen Jahren wurde er aus seinem Job gemobbt, was eine sehr traumatische Erfahrung für ihn war. Aber anstatt wütend und depressiv zu werden, begann er, seinem ehemaligen Arbeitgeber Liebe zu senden. Er wünschte ihm aus ganzem Herzen glücklich und gesund zu sein. Dieses Liebe-Senden war für Pierre eine zutiefst heilende und verwandelnde Erfahrung und von da an begann er, praktisch jedem Menschen, den er traf, Liebe zu senden. Wenn er zum Beispiel mit dem Zug oder dem Flugzeug reist, liebt er es, die Gänge auf und ab zu laufen und dabei sämtlichen Passagieren Liebe zu senden. Er sagt, er „segnet die Menschen“ mit der ganzen Liebe seines Herzens.

Pierre unterrichtet die ‘Kunst des Segnens und Vergebens’ in seinen Workshops, in einem schönen Chalet in den Schweizer Alpen. Er bittet die Mitglieder seiner Seminare für jede Person, für die sie Groll hegen, einen schweren Stein von den Alpweiden aufzuheben und in einem Rucksack zu tragen, bis sie bereit sind, ihren Groll loszulassen. Diese Übung soll vermitteln, wie sehr uns unsere alten Feindseligkeiten eine Bürde sind.

Pierres liebevolle Motivation wurde mit den Jahren immer stärker, bis er in der Lage war, sie fast ununterbrochen aufrechtzuerhalten, selbst wenn ihm verletzende Dinge widerfuhren. Eines Tages zum Beispiel, schlug ihm ein unbekannter Mann aus heiterem Himmel ins Gesicht. Seine erste und einzige Reaktion war ‘mit einem Segen herauszuplatzen’ und dem Mann alles Gute zu wünschen.

Pierre Pradervand hat ein wundervolles Buch über sein Leben geschrieben, mit dem Titel Segnen heilt [1]. Es ist voller ermutigender Geschichten, Anekdoten und Lehren darüber, wie man liebevolle Güte zum Mittelpunkt des eigenen Lebens machen kann. Pierre erklärt in dem Buch, dass kein Mensch unser ‘Feind’ sein kann, außer wenn wir selbst ein solches Etikett auf diesen Menschen kleben. Er erklärt auch, dass aus diesem Grunde kein Ereignis, keine Begegnung und keine Person uns schaden kann, weil das ganze Leben ein subjektiver Prozess der Interpretation und Definition ist. Auf diese Weise, so sagt er, gestaltet jede Person ihre eigene Realität in jedem einzelnen Moment.

Pierre hat die Liebes-Stufe des Bewusstseins stabilisiert, was unglaublich selten in unserer Gesellschaft vorkommt. Viele Menschen kennen Gefühle der Liebe und Zuneigung im engen Kreis ihrer Familie und Freunde. Allerdings meditiert kaum jemand täglich über selbstlose Liebe und ist in der Lage, mit liebevollen Wünschen auf eine plötzliche gewaltsame Attacke zu reagieren, wie Pierre es getan hat. Johann, der im letzten Abschnitt vorgestellt wurde, würde viel mitfühlender werden, wenn er sich so sehr auf Liebe konzentrieren würde, wie Pierre es tut.

Pierres Buch ist zutiefst inspirierend und ist sicherlich die Arbeit einer spirituell hoch entwickelten Person. Es gibt allerdings ein gewisses Gefühl der Schwere und schmerzlichen Anteilnahme in seinem Buch, das aufzeigt, dass er sich vermutlich noch nicht zur Glückseligkeits-Stufe entwickelt hat. Um diesen Mangel an spiritueller Freude auszuräumen, müssen die Menschen zur nächsten Stufe fortschreiten – der Glückseligkeits-Stufe.

 

Fallstudie der Glückseligkeits-Stufe

Ich möchte Marianne vorstellen, die 54 Jahre alt ist, geschieden und Silberschmuck auf Straßenmärkten verkauft. Nach außen hin scheint Marianne eine sehr normale Person zu sein, die im Leben nicht viel Glück bei der Suche nach einem guten Ehemann oder beim Geld verdienen hatte. Innerlich ist Marianne allerdings höchst ungewöhnlich. „Ich fühle diese unglaubliche Glückseligkeit”, sagt sie, „es ist einfach immer da – seit Jahren. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll – ich glaube, man könnte sagen, es ist Liebe, Glückseligkeit und Klarheit zusammen.“

Marianne wurde zum ersten Mal in diesen Gemütszustand eingeführt, als sie begann, über die berühmte indische Heilige namens Amma [2] zu meditieren. Bis heute hat Marianne Amma nie persönlich gesehen; nur in einem Video. Dennoch fühlt sie diese unglaubliche Verbindung zu ihr und meditiert täglich über Amma.

Marianne ist nicht daran interessiert, einen neuen Partner zu finden oder mehr Geld zu verdienen, weil die Glückseligkeit, die sie in sich empfindet, völlig erfüllend ist. Sie sieht auch kaum fern. „Ich will keine Ablenkung”, sagt sie, „ich  will mich völlig meinen spirituellen Übungen widmen.“ Marianne befindet sich die meiste Zeit in einem sehr glücklichen Gemütszustand und Dinge, die andere Leute runterziehen würden, haben auf sie sehr wenig Einfluss. Als zum Beispiel ihre geliebte Mutter starb, fühlte sie kaum Trauer, sondern hauptsächlich Freude, weil sie ‘wusste’, dass ihre Mutter nun an einem besseren Ort war. Für Marianne ist es, als ob ihre Mutter noch lebt.

Seit Marianne damit begonnen hat, auf Glückseligkeit zu meditieren, hat sie mehrere übernatürliche Fähigkeiten entwickelt. Sie hat beispielsweise Fernheilungen für andere Menschen gemacht, die sehr gute Ergebnisse gebracht haben. „Jedes Mal ging es der Person beinahe sofort besser“, sagt sie auf eine sehr bescheidene Weise. Marianne hat auch öfters Vorahnungen, die sich meistens als richtig erweisen. Es gibt in Mariannes Leben viele Menschen, die ihren Rat zu allen möglichen Themen suchen und sie hat für alle ein ermutigendes Wort. Vor kurzem hat sie auch begonnen, Meditation zu unterrichten.

Marianne hat nur ein Problem. Sie ist so empfindlich geworden, dass normale Aktivitäten wie z.B. Nachrichten im Fernsehen sehen oder in einem Einkaufszentrum einkaufen, beinahe schmerzhafte Erlebnisse für sie sind. Sie kann auch die Gefühle der Menschen um sie herum fühlen, was zeitweise eine sehr schwierige Erfahrung ist. Obwohl Marianne darin sehr erfolgreich war, ihr eigenes Selbstmitleid, Frustrationen und Sorgen zu eliminieren, ist es nicht immer leicht für sie, ihr Leben der erhöhten Sensibilität anzupassen, die sie empfindet.

Marianne ist auf der Glückseligkeits-Stufe des Bewusstseins. Normalerweise muss man durch einen spirituellen Lehrer oder Lehrerin in die Erfahrung der Glückseligkeit eingeführt werden. Nach der Einführung muss der Meditationsschüler sich fortwährend und mit tiefster Hingabe auf diesen erhabenen Gemütszustand konzentrieren, bis er sich mehr and mehr stabilisiert. Wenn das erreicht wird (oft nach mehreren Jahren), treten oft spontan übernatürliche Kräfte auf und die Person kann zum Beispiel ein hohes Maß an Hellsichtigkeit entwickeln. (Menschen auf den untersten Stufen des Bewusstseins können manchmal auch eine gewisse Hellsichtigkeit haben, die in der Regel sehr lückenhaft ist).

In dem Prozess, die eigene glückselige Essenz zu entdecken, werden die meisten Menschen sehr viel sensibler gegenüber inneren und äußeren Wahrnehmungen, welche auf den unteren Stufen des Bewusstseins gar nicht wahrnehmbar sind. Die Glückseligkeits-Stufe ist deshalb nicht ganz unproblematisch und der Praktizierende muss lernen zu integrieren, was aus der Tiefe seines Unterbewusstseins herausströmt.

In unserer Gesellschaft befinden sich sehr wenige Menschen auf der Glückseligkeits-Stufe. Wenn Pierre, der im letzten Abschnitt vorgestellt wurde, in diesen Geisteszustand eingeführt würde, dann wäre er in der Lage, Liebe und spirituelle Freude auszustrahlen.

Um die letzten verbleibenden Instabilitäten der Glückseligkeits-Stufe auszuräumen, müssen die Menschen zur letzten Stufe  des Bewusstseins fortschreiten – zur Erleuchtungs-Stufe.

 

Fallstudie der Erleuchtungs-Stufe

Nun stelle ich Milarepa vor, den berühmtesten Heiligen der tibetisch-buddhistischen Tradition, der ungefähr vor 1000 Jahren gelebt hat. Buddhistische Lehrer bezeichnen Milarepa oft als das eine große Beispiel, das zeigt, dass es möglich ist, in einem einzigen Leben Erleuchtung zu erreichen. Wenn man Milarepas Lebensgeschichte in Milarepa – Tibets großer Yogi von W.Y. Evans-Wentz genau anschaut, kann man tatsächlich jede einzelne Stufe des Bewusstseins nacheinander identifizieren, von der Unschuld bis hin zur Erleuchtung [3].

Milarepa wurde in eine wohlhabende Familie hineingeboren, aber sein Vater starb, als er sieben Jahre alt war und seine Tante und Onkel versklavten ihn und den Rest seiner Familie. Milarepa konnte nicht zur Schule gehen – was vermuten lässt, dass er seine ganze tragische Kindheit hindurch auf der Unschulds-Stufe verblieb. Dies sollte sich ändern, als er fünfzehn Jahre alt wurde und hinausging, um die Kunst der schwarzen Magie zu erlernen, damit er Rache für die Ungerechtigkeit nehmen konnte, die seiner Familie angetan worden war. Er war so entschlossen, dass es ihm tatsächlich gelang, 25 seiner Verwandten zu töten. Unschuldige Menschen zu töten, um Rache zu bekommen, ist natürlich ein Akt, der zur Dominanz-Stufe gehört.

Nach diesen schrecklichen Taten wurde Milarepa von Angst befallen, dass seine Gewalttaten ihn in die Hölle bringen würden. Deshalb suchte er verzweifelt nach einem spirituellen Lehrer, der ihm helfen konnte, sich von diesem entsetzlichen Schicksal zu befreien. Diesen Lehrer fand er in dem berühmten Übersetzer Marpa. Zuerst war Marpa jedoch überhaupt nicht dazu bereit, Milarepa irgendwelche spirituellen Lehren zu erteilen, sondern ließ ihn ein Haus nach dem anderen bauen, nur um ihm zu befehlen, alles wieder abzureißen. Die ganze Zeit behandelte er Milarepa mit Verachtung und sogar manchmal mit Gewalt. In dieser Phase seines Lebens war Milarepa vollkommen verzweifelt und erwägte viele Male, sich umzubringen.

Aus buddhistischer Sicht wird das verletzende Verhalten von Marpa damit erklärt, dass er versuchte Milarepa zu helfen, sein schlechtes Karma zu reinigen, indem er ihn leiden ließ. Aus der Sicht der Stufen des Bewusstseins können wir erkennen, dass Marpa Milarepa in die Unterordnung der Gehorsams-Stufe zwang und ihn dadurch aus der Destruktivität der Dominanz-Stufe befreite. Auf der Gehorsams-Stufe müssen die Menschen lernen, die Regeln einer höheren Autorität zu befolgen, auch wenn sie sie nicht verstehen und sogar, wenn sie dadurch leiden. Die Gehorsams-Stufe des Bewusstseins ist keine leichte oder angenehme Stufe. Aber es ist wirklich entscheidend zu lernen, destruktive und egoistische Impulse zu zügeln, um sich auf der Treppe des Bewusstseins weiter zu entwickeln. Aus der Sicht der Treppe des Bewusstseins macht Marpas strenges Verhalten also durchaus Sinn.

Schließlich wurde Marpa freundlicher und gab Milarepa spirituelle Lehren und Einweihungen. Milarepa betrat daraufhin die Ehrgeiz-Stufe des Bewusstseins und begann, auf eine Art und Weise zu meditieren, die von Konkurrenzdenken und Ehrgeiz gekennzeichnet war. Über einen Zeitraum von neun Monaten verließ er zum Beispiel sein Meditationskissen nicht länger als wenige Minuten. In Tibet verfuhr man so, um mit anderen Meditations-Praktizierenden in Wettbewerb zu treten – also ein typisches Verhalten der konkurrenz-betonten Ehrgeiz-Stufe.

Eines Tages wurde Milarepa jedoch von einem starken Verlangen befallen, seine Mutter und Schwester zu besuchen, was den Anfang der mehr emotionalen und beziehungszentrierten Mitgefühls-Stufe des Bewusstseins signalisiert. Als er nach einer langen Reise seine Mutter tot auffand, wurde Milarepa von einer intensiven Traurigkeit und auch von Selbstmitleid über all das Leiden in seinem Leben befallen. Er beschloss daraufhin, sein Leben der spirituellen Wahrheit zu widmen und verschenkte all seine Besitztümer. Zu diesem Zeitpunkt kritisierte er andere religiöse Menschen als ‘Heuchler’, die religiöse Gewänder nur äußerlich tragen und deren Ziel lediglich der Erwerb von Wohlhaben und Ruhm sei. Dieses Selbstmitleid, die Missachtung von materiellem Besitz und diese Kritik an heuchlerischen und habgierigen Menschen sind allesamt typische Einstellungen auf der Mitgefühls-Stufe.

Milarepa betrat dann die Verantwortungs-Stufe des Bewusstseins, indem er begann, in völliger Abgeschiedenheit in einer Höhle zu meditieren. Seine Motivation zu meditieren war nun viel tiefer als zuvor, als er hauptsächlich durch Konkurrenzdenken und dem egoistischen Wunsch, sich von seinem eigenen schlechten Karma zu befreien, motiviert war. Nun spürte Milarepa ein Gefühl der tiefen Berufung, dem spirituellen Weg zu folgen, um völlige Befreiung zum Wohle aller Wesen zu erreichen. Milarepa war somit auf die erste Stufe der zweiten Treppenflucht aufgestiegen – der  Verantwortungs-Stufe.

Nach einigen Jahren fortwährender Meditation zeigte ein Ereignis, dass Milarepa die Bewusstseins-Stufe der Liebe vollkommen entwickelt hatte. Einige grobschlächtige Jäger kamen zu seiner Höhle, hoben seinen geschwächten Körper mehrere Male auf und ließen ihn einfach zum Spaß wieder auf den Boden fallen. Milarepa begann zu weinen, aber seine Tränen flossen nicht wegen seines Schmerzes, sondern aus echter Barmherzigkeit für die grausamen Männer. Er sagte, dass er die Jäger sehr bemitleidete und dass er keine Absicht hätte, sie zu verfluchen. Er erfuhr später, dass die Jäger verhaftet worden waren und durch ‘göttliche Gerechtigkeit’ bestraft wurden.

Einige Jahre später sprach Milarepa von den intensiven spirituellen Freuden, die er erlebte. Er begann auch übernatürliche Kräfte zu entwickeln, die darin gipfelten, dass er in der Lage war, durch die Luft zu fliegen. Dies sind  Zeichen der Glückseligkeits- und Erleuchtungs-Stufen.

Aus der Biographie von Milarepa geht nicht ganz klar hervor, wann genau er Erleuchtung erlangte – den Punkt, an dem er die völlige liebevolle Vereinigung mit dem Göttlichen erreichte. Bei seinem Tod jedoch demonstriert Milarepa Zeichen, die im tibetischen Buddhismus als Beweis eines völlig erleuchteten Wesens angesehen werden. Es gab viele ungewöhnliche Regenbögen und Milarepas Geist erschien vielen seiner Schüler. Sein Leichnam begann zu schrumpfen, bis er die Größe eines achtjährigen Kindes erreicht hatte. In ähnlichen Fällen schrumpfte der Leichnam einer erleuchteten Person, bis er völlig verschwand. Aber Milarepas Schüler waren so darauf bedacht, Reliquien zu erhalten, dass sie ihn schnell einäscherten, bevor sein Körper komplett verschwinden konnte.English